Im Museum „Zeit(T)räume“ in Walldürn gibt‘s das Allerneueste von früher zu sehen
Spielsachen, mechanische Musikgeräte, Radios, Turm- und Rathausuhren – eine nicht alltägliche Zusammenstellung ist im Museum „Zeit(T)räume“ in Walldürn zu bewundern. Rund 300 Ausstellungsstücke und 35 Großuhren hat das Ehepaar Beate und Bruno Kaiser in dreieinhalb Jahrzehnten zusammengetragen.
Vor 35 Jahren lernten die Kaisers einen Antiquitätenhändler kennen und besuchten mit ihm einen Antiquitätenmarkt im nordhessischen Sickendorf. Hier kauften sie ihr erstes Stück, einen sogenannten „Regulator“. Die schöne Pendeluhr aus der Gründerzeit (zirka 1870 bis 1914) hängt heute im Eingangsbereich des Museums. Dort steht auch ein Musikgerät aus den frühen 1960er Jahren: eine Jukebox des amerikanischen Herstellers Rock-Ola, eine „Regis 120“, mit 120 Spielmöglichkeiten, also 60 Single-Schallplatten.
Bei den Kaisers häuften sich in der Folge die Besuche auf Flohmärkten, und ihr Interesse an mechanischen Musikinstrumenten, Phonographen, Grammophonen, Walzenspieldosen und Plattenspieluhren nahm immer mehr zu. Für die Objekte der Begierde wurden die Räume im Wohnhaus des Ehepaars bald zu klein. Als ideale Lösung erwies sich ein früherer Stall – Kaisers Vorfahren waren Landwirte –, den sie zu einem Ausstellungsraum umbauten.
Anker kam vor Lego
2008 haben Beate und Bruno Kaiser dann ihr Museum eröffnet, ab 2009 unterstützt von einem Förderverein. Denn alleine ist eine solche Einrichtung nicht zu stemmen. Als weiteres Sammelgebiet waren inzwischen die Erzeugnisse der Firma Adolf Richter aus Rudolstadt in Thüringen dazugekommen. Richter wurde bekannt durch seine „Anker- Steinbaukästen“, die Mineralbausteine aus Quarzsand, Kalk und Leinölfirnis enthielten.
Als Kinderspielzeug verkaufte er sie in ganz Europa, in den USA und Japan. Erfunden hatten die Ankersteine eigentlich die weltbekannten Luftfahrtpioniere Otto und Gustav Lilienthal, die aber aus Geldnot verkaufen mussten. Adolf Richter erwarb das Patent und produzierte ab 1880 die Ankersteine als erstes Systemspielzeug der Welt, lange vor Lego. Weitere Spielsachen und Baukästen sind im Museum ebenfalls zu bewundern.
Was ist ein Libellion
Da Adolf Richter später auch Spieluhren herstellte, schloss sich der Kreis hin zu mechanischen Musikinstrumenten. Beate und Bruno Kaiser suchten jetzt nach den inzwischen seltenen Richter-Instrumenten, die klangvolle Namen wie „Imperator“ oder „Libellion“ trugen. In der Anker-Abteilung des Museums gibt es drei dieser Spieluhren, aber auch Holzkopfpuppen, Kindergrammophone, sogenannte „Bingophone“, und auch eine Puppenküche aus den 1950er Jahren.
Reisegrammophone
Mehrere Regale widmen sich den Grammophonen und ihrer Technik. Da gab es Emil Berliners Abspielweise von außen nach innen, und die der französischen Brüder Charles und Emile Pathe von innen nach außen, die in ihrem Heimatland sowie in Belgien und der Schweiz verbreitet war. Das Rennen machte schließlich Berliner, der auch die Schallplatte erfunden hat. Vielerlei Varianten des Grammophons sind zu sehen – vom Reisegrammophon bis zum Grammophon-Wecker. Alle basieren auf der Erfindung des Phonographen durch Thomas Alva Edison. Etwas älter sind die Musikabspielgeräte, die mit Walzen oder Scheiben funktionieren. Sie machen einen bedeutenden Teil der Exponate aus – in allen möglichen Größen und Zusammenhängen. Da spielt etwa ein Zigarettenspender plötzlich Musik, und ein Klavier gibt ein Musikstück zum Besten, ohne dass jemand in die Tasten greift.
Radios ab 1926
Naheliegend war in diesem Zusammenhang auch, Radiogeräte zu sammeln. Das älteste von 80 Exemplaren stammt von 1926, dazu kommen Stereoanlagen der deutschen Firma Braun, heute bekannt vor allem durch ihre Rasierapparate. Braun hat aber auch hochwertige Rundfunkgeräte hergestellt, in den 1980er Jahren sogar CD-Spieler. Raritäten sind ein „Tefifon“, das den Ton mittels eines Schallbandes wiedergibt, oder ein Musikschrank – ein Radio mit Plattenspieler und Fernseher. Ein Jahr nach der Eröffnung brauchten die Kaisers einen weiteren Raum, denn für ihr jüngstes Sammelgebiet war angesichts der Größe der Exponate viel Platz nötig. Die eingangs erwähnte Uhr – der Regulator – bildete den Ausgangspunkt. Nun fiel den Eheleuten eine andere Uhrenart ins Auge – Turmuhren. Die erste, die sie erwarben, stammte aus dem Torturm in Ilshofen, zwischen Schwäbisch Hall und Crailsheim, konkret erwarben sie das alte, mechanische Uhrwerk. Denn in den meisten Uhren – ob in Rathäusern, Kirchen oder anderen Gebäuden – hatten die Uhrwerke ausgedient und wurden durch elektronisch steuerbare Uhren ersetzt.
Große Turmuhren
Ein neues Sammelfieber, ja eine neue Faszination brach bei den Kaisers aus, sie nahmen sich vor, alle Turmuhren aus Walldürn und den benachbarten Orten vor dem Verfall zu retten, und sie unter Erhalt der Originalsubstanz zu reparieren und zu restaurieren. So finden sich aktuell mehrere vollkommen wiederhergestellte und funktionierende Uhren aus Walldürn, etwa die Uhr aus dem Bürgermeisterzimmer des Rathauses, und Nachbarorten im Museum. Bei den einzelnen Uhrwerken steht dann auch so manche Anekdote zur Erläuterung dabei …
geschrieben von Markus Bauer für das Würzburger Katholische Sonntagsblatt, Ausgabe 37/2021