Welchen Weg eines seiner vielleicht bedeutendsten Werke einmal durch die Jahrhunderte nehmen würde, hätte der Walldürner Uhrmacher und Schmied Johannes Matthäus May wohl selbst nur erahnen können. Ende des 18. Jahrhunderts zeigte die vom ihm gefertigte und später von seinem Sohn Laurentius May reparierte Standuhr die Zeit im Walldürner Kloster an. Darauf deuten zumindest aktuelle Nachforschungen hin. Mit absoluter Gewissheit lässt sich die Spur aber nicht zurückverfolgen, zwischendurch verschwimmt sie im Nebel der Geschichte. Belegt ist der Standort der Uhr – womöglich war sie Mays Meisterstück – wieder im Alten Rathaus, wo sie lange Zeit zum Inventar zählte. Eine Umgestaltung der Rathausräume eröffnete im Jahr 2019 neue Perspektiven: Mit der Zustimmung des Gemeinderats zog die zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr funktionsfähige Standuhr in das Museum „Zeit(T)räume“ um.
„Zeitgeschichtlich handelt es sich um eine sehr wertvolle Uhr“, erklärte Hans-Joachim Kruse am Samstag dem Publikum in der voll besetzten Museumsscheune in der Unteren Vorstadtstraße. Anlässlich der Einweihung des neuen Exponats gewährte Kruse den Gästen aus Politik und Wirtschaft, Vertretern der Kirche und weiterer Institutionen sowie zahlreichen Mitgliedern des Fördervereins spannende Einblicke in das Leben des bisher weitgehend unbekannten Uhrmachers May und in dessen Handwerkskunst. „Die Standuhr ist nach englischem Vorbild sehr fein gearbeitet“, sagte Kruse. Auch wegen der außergewöhnlichen Bemalung mit kirchlichen Motiven handelt es sich seiner Einschätzung nach um ein wichtiges Schaustück für Walldürn.
Nach der Übergabe an das Museum „Zeit(T)räume“ hatte der Mosbacher Uhrmachermeister verschiedene fehlende Teile rekonstruiert und die Standuhr in monatelanger Detailarbeit restauriert. Der Förderverein des Museums investierte rund 2000 Euro in die Instandsetzung des neuen Exponats.
Am Samstag stand jedoch die Walldürner Uhr nicht alleine im Mittelpunkt. Mit den mechanischen Großuhren der evangelischen Kirchen in Buchen, Leibenstadt, Sennfeld und Korb wurden vier weitere von Bruno und Beate Kaiser restaurierte Exponate offiziell in die Sammlung aufgenommen. Während die Uhrwerke der Baulandgemeinden in den Museumsräumen und im überdachten Außenbereich zu sehen sind, hat das Buchener Exemplar der Firma Korfhage aus dem Jahr 1948 einen besonders exponierten Platz in einer Glasvitrine im Hof gefunden. Dort können Museumsbesucher beobachten, wie Gewichte aufgezogen werden, die Hemmung präzise den Takt vorgibt, Zahnräder ineinandergreifen, Seile über Umlenkrollen das Zifferblatt steuern – oder kurz gesagt: wie die Zeit mechanisch sichtbar gemacht wird.
Michael Schick erinnerte in seiner Begrüßungsrede denn auch daran, dass es zunächst die Kirchen waren, die ab dem 13. Jahrhundert mit mechanischen Uhren den Tagesablauf in den Klöstern, aber auch für die Landbevölkerung vorgaben. Anfangs noch recht ungenau, im Laufe der Jahrhunderte jedoch immer präziser. So treten bei den Uhren aus Leibenstadt (Firma Schneider, Baujahr vor 1900), Korb (Firma Korfhage, Baujahr vor 1900) und Sennfeld (Firma Lorenz, Baujahr 1890) nur noch geringfügige Abweichungen auf – sofern sie rechtzeitig aufgezogen werden. Ein Merkmal haben nämlich alle im Museum „Zeit(T)räume“ ausgestellten Uhrwerke gemeinsam: Sie sind voll funktionsfähig.
Damit die neuen Uhren ihren Weg überhaupt ins Museum finden konnten, waren mitunter gute Beziehungen der Kirchengemeinden untereinander, gelegentlich Überzeugungsarbeit und immer wieder auch ein kreativer Umgang mit den zwischenzeitlich geltenden Corona-Beschränkungen notwendig. In einigen Fällen stellte die Restaurierung eine zusätzliche Herausforderung dar. Vor allem, wenn Teile fehlten und mit viel Können, Geschick und Geduld nachgebaut werden mussten.
Ein Aufwand an Zeit und Geld, den auch Landrat Dr. Achim Brötel und Bürgermeister Markus Günther in ihren Grußworten würdigten. Beide dankten den Aktiven des Fördervereins für ihr Engagement. Zwar habe das Coronavirus auch das Vereinsleben des Fördervereins drei lange Jahre lang auf eine harte Probe gestellt. Diese Zeit sei jedoch im Museum „Zeit(T)räume“ sinnvoll genutzt worden. „Nichts anderes war ja auch zu erwarten. Spektakuläre neue Exponate sind dazugekommen“, betonte Brötel. „Alle diese Uhren bereichern jetzt die schon bisher einzigartige Sammlung.“
Einen Bogen von prägenden Erinnerungen aus der eigenen Kindheit zur generellen Bedeutung von Kirchturmuhren schlug schließlich Walldürns evangelischer Pfarrer Karl Kreß. „Egal wo ich bin: Meine Zeit steht in Gottes Händen. Das sagen mir diese Uhren“, betonte der Geistliche, bevor er die neuen Ausstellungstücke für ihre zukünftige Bestimmung im Museum segnete.
Umrahmt wurde die Feierstunde mit vier von Dr. Felix Kaiser anmoderierten Musikstücken. Dieses Mal allerdings nicht live gespielt, sondern vom Band. Beziehungsweise von ganz besonderen Bändern: einer Walzendrehorgel, einer Spieluhr, einem Grammophon und einem Phonographen aus der Sammlung des Museums „Zeit(T)räume“.